Anmerkungen zu "Aerophonie"

 

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Im Spätjahr 1994 fragte mich Stefan Fritzen, ob ich nicht für sein Sinfonisches Blasorchester Mannheim ein Stück schreiben wolle. Ich nahm, geehrt und begeistert, den Auftrag gerne an: Ist doch das Orchester ein famoses Ensemble, professionell und routiniert, mit einem hervorragenden, mittlerweile auch internationalen Ruf. Begeistert war ich auch deswegen, da ich gerne für große Ensemble komponiere; die Vielzahl der Stimmen und Klangfarben eines großen Klangkörpers inspiriert mich.

Über die Stilistik, die das Stück haben sollte, war ich mir sofort im klaren: Ich wollte keinen Brass Band Sound, da es schließlich genug Stücke dieser Art gibt. Es sollte aber auch nicht zu avantgardistisch im Sinne von "gutdarmstädtisch" sein, da ich mir wünschte, dass mein Stück von den Jugendlichen gerne gespielt wird.

Da ich aus meiner eigenen Orchesterzeit als Klarinettistin weiß, dass Bläser gerne solistische Stellen spielen, achtete ich darauf, dass jede Instrumentenfamilie ihre Solostellen bekommt. Jede Holz- und Blech-, zudem die reichhaltige Schlagwerkgruppe darf sich präsentieren. Diese "kammermusikalische" Behandlung ergibt ein Klangpuzzle, das den Tuttiblöcken gegenübergestellt wird.

Das Gerüst oder Rückgrad des Stückes bestreitet ein zunächst lang gestrecktes, 27-taktiges Thema mit allmählichem Aufstieg und rhythmisch markantem Abstieg, das im letzten Drittel wieder auftaucht, rhythmisch erweitert und mit seiner eigenen Umkehrung konfrontiert: Der ehemals markante Abstieg wird zum fast bedrohlichen Aufstieg und mündet in einem "Bruckner´schen" Ausbruch.

Im zweiten Drittel des Stücks wird das Thema seziert, wird mit den Bruchstücken gespielt, nach guter alter Tradition, wodurch eine gewisse Einheitlichkeit garantiert wird. Dabei reicht das Akkordmaterial vom einfachen Dreiklang bis zum vollständigen zwölftönigen Akkord, was natürlich zu Stellen mit unterschiedlichen "Härtegraden" führt.

Die eigentliche Kompositionsarbeit an der Partitur dauerte etwa einen Monat. Die anschließende mühselige Beschäftigung des Herausschreibens der Einzelstimmen nahmen mir glücklicherweise einige computerkundige Orchestermitglieder ab, denen ich an dieser Stelle noch einmal herzlich danken möchte! Im Herbst 1995 stand nun das Material zur Verfügung, so daß mit der Probenarbeit begonnen werden konnte. Dank Herrn Fritzens unermüdlichen Eifers wurde die Uraufführung am 10. März 1996 im Mannheimer Rosengarten dann auch zu einem großen Erfolg. Das Stück wurde mehrmals gespielt, unter anderem auch im Rahmen der USA - und der Japan - Tournee des Orchesters im Sommer 1996 beziehungsweise 1999.

Warum der Titel "Aerophonie"? Als Aerophone bezeichnet man Musikinstrumente, die aus einer schwingenden Luftsäule bestehen, also vor allem Holzblasinstrumente. Es lag natürlich nahe, das Stück nach dem Gros seiner Ausführenden zu taufen; die Gruppe der Membrano- beziehungsweise Idiophone (Schlagzeug) mit in den Titel einzubeziehen, hätte diesen unnötig verkompliziert. Nichtsdestotrotz ist die Schlagzeuggruppe unverzichtbar für das Stück.

Nun kann ich nur wünschen, dass der Widmungsträger von "Aerophonie", das Sinfonische Jugendblasorchester Mannheim, noch lange Freude daran hat. Und wenn Herr Fritzen schreibt, "... dem Orchester werden hohe Anforderungen abverlangt, da das Werk die gängigen Hörgewohnheiten von Schülerinnen und Schülern verlässt und ihnen in rhythmischer und klanglicher Hinsicht neue Erfahrungen vermittelt", so bleibt zudem zu hoffen, daß die "Erfahrungen in rhythmischer und klanglicher Hinsicht" jedem einzelnen Spieler auf seinem persönlichen Weg als Musiker etwas weitergeholfen haben.

Andrea Csollány